Zu den Blogbeiträgen Winter 2022/23

 

Leitthema: Beziehungen

Vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Menschen sind etwas, ohne das wir nicht leben können. Wir sind soziale Wesen, die andere Menschen brauchen. So wäre eine Einzelhaft für uns nur schwer erträglich und ist z. B. in der Psychotherapie die Beziehung zum Therapeuten oder der Therapeutin ein Hauptwirkfaktor und ausschlaggebend dafür, dass ein Therapieeffekt eintritt.

Wenn wir nicht schon vorher wussten, wie unersetzlich tiefe Beziehung für uns Menschen sind, ist uns durch die Corona-Krise deutlich geworden wie unabdingbar sie sind. Wir leben zwar in einem Zeitalter, in dem Individualismus und Selbstverwirklichung groß geschrieben werden, dennoch spüren wir intuitiv, wie viele Erfahrungen schöner sind, wenn wir sie mit anderen teilen können. In Deutschland erleben sich ca. 10 % der Bevölkerung als einsam und 18 % als sozial isoliert. Dabei kann Einsamkeit auf Dauer Misstrauen fördern, die Barriere für die Aufnahme sozialer Kontakt erhöhen und zu einer Abwärtsspirale des Wohlbefindens führen. Gesellschaftliche Faktoren verstärken die Tendenz zu zunehmender Vereinzelung, mit einem Nachlassen von Solidarität, Vereinzelung und Individualisierung. Hinzu kommt ein schnellerer Bruch familiärer Bindungen und von sozialen Haltefaktoren wie Gemeinden, Vereine und Nachbarschaftskontakten. Ohne Menschen, die uns mehr oder weniger nah sind, fehlt uns: Anerkennung, Sicherheit, Empathie, Beruhigung, Berührung. Daneben aber auch praktische Hilfe und Rat, da wir so manches alleine nur schwer gelöst bekommen. Einsamen Menschen fehlt besonders körperlicher Kontakt und Berührung. Dies gilt etwa auch insbesondere für ältere Menschen, die sich im Pflegeheim befinden und zärtliche Berührungen in hohem Maße vermissen. Mehr soziale Unterstützung bedeutet mehr Wohlbefinden, ein höheres Selbstwertgefühl und weniger Stressanfälligkeit. Darüber hinaus machen Untersuchungen deutlich, dass gute Beziehungen nicht nur ein Faktor für ein zufriedenes und gesundes Leben sind, sondern der entscheidende Indikator für ein langes und gutes Leben. Dies zeigte z. B. die Grant-Study, bei der Versuchs-personen über die ganze Lebensspanne hinweg vielfältig medizinisch und psychologisch sehr genau untersucht wurden, was körperliches und seelisches Wohlbefinden angeht. Einer der bisher 4 Versuchsleiter, die auf Grund der Länge der Untersuchung wechselten, war Robert Waldinger. Er fasste, die bisher schon sehr umfangreichen Untersuchungen folgendermaßen zusammen: „Gute Beziehungen machen uns glücklicher und gesünder.“ Seine zentrale Forschungserfahrung war, dass ein gutes Leben aus guten Beziehungen besteht. Karriere und Reichtum erwiesen sich für die Lebenszufriedenheit nicht als ausschlaggebend. Die amerikanische Psychologin und Neurowissenschaftlerin Juliane Holt-Lunstad analysierte über hundert Forschungsprojekte, die sich mit dem Einfluss von Beziehungen auf ein langes und gesundes Leben beschäftigten. Ihre Analyse führte zu dem eindeutigen Ergebnis, nämlich, dass soziale Beziehungen gesünder machen als alles andere im Leben! Auf Platz 1 steht bei Ihren Untersuchungen die soziale Integration in eine Gemeinschaft, also das Gemeinschaftsgefühl und wie man sich in ein soziales Ganzes eingebunden fühlt. Auf Platz 2 lag, ganz nah bei Platz 1, ob wir stabile, nahe und unterstützende soziale Beziehungen haben. Zwei Dinge also, die beide den sozialen Beziehungsaspekt in den Vordergrund stellen. Andere Punkte wie Rauchen, Trinken, Sport, Normalgewicht oder Bluthochdruck sind zwar auch wichtig für ein langes Leben, aber nicht so bedeutsam wie die beiden ersten Faktoren. Hätten Sie das Ergebnis erwartet? Wenn ja, dann zeigte eine andere Untersuchung, die von dem Psychologieprofessor Alexander Haslam durchgeführt wurde, dass die von ihm befragten 500 Versuchspersonen eher die üblichen Gesundheitsfaktoren für ein langes Leben wie Nichtrauchen, Sport etc. nannten und soziale Integration und nahe Sozialkontakte erst auf Platz 9 und 11 nannten. Vielen von uns ist demnach die Wichtigkeit der sozialen Beziehungen als Faktor für ein langes Leben nicht bewusst. Wie unterscheiden sich aber Alleinsein und Einsamkeit. Alleinsein ist durchaus freiwillig und kann angenehm erlebt werden. Möglich ist, dass es uns zeitweilig gut tut für uns zu sein. Hermann Hesse sagt dazu: „Nur im Alleinsein können wir uns selbst finden. Alleinsein ist nicht Einsamkeit, sie ist das größte Abenteuer.“ Einsamkeit kann jedoch schmerzhaft sein und kann krank machen. Die Ursachen dafür werden sich selbst zugeschrieben. Einsam zu sein ist eher ein Tabu und schambesetzt. Sie zeichnet sich durch einen Mangel an Beziehungen, Zugehörigkeit und Freundschaften aus.

Innerhalb von bestimmten Grenzen gilt die alte Spruchweisheit: „Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Einsamkeit kann bedeuten, dass keiner da ist mit dem Freude oder Leid geteilt werden kann. Chronische Einsamkeit ist toxisch. Sie führt zu weniger Wohlbefinden, früherem Tod, einem frühzeitigen Nachlassen der Gehirnfunktionen usw. Einsamkeit verstärkt das Auftreten von Depressionen - zugleich verstärkt das depressive Erleben die Einsamkeit. Während durch soziales Eingebundensein das Stresslevel sinkt, und man sich ruhig und wertvoll fühlt, verringert das Alleinsein die Endorphinausschüttung und das beruhigende Bindungshormon Oxytocin wird weniger gebildet. Einsamkeit ist für die Gesundheit so schädlich, wie Alkoholmissbrauch und doppelt so schädlich wie Übergewicht. Bei lang andauernder Einsamkeit verändert sich die Wahrnehmung von einsamen Personen in Richtung von Feindseligkeit und evtl. hin zu einem Schutzpanzer der besagt, eigentlich niemand zu brauchen und zu wollen. Damit verfestigt sich die Chronifizierung von Einsamkeit. Dem gegenüber zeigt beispielsweise eine Untersuchung der Demoskopie Allensbach aus dem Jahre 2020, dass 3 Dinge, als die wichtigsten im Leben angesehen werden 1. Gute Freunde, 2. Für die Familie da zu sein und 3. Eine glückliche Partnerschaft zu haben. Das Forscherehepaar Cacioppo von der Universität Chicago beschäftigte sich ausgiebig mit dem Thema Einsamkeit, insbesondere aus neurologischer Sicht. Sie stellten fest, dass Einsamkeit zu mehr Stresshormonen, höherem Blutdruck, niedrigerer Immunabwehr und schlechterem Schlaf führte. Bemerkenswert ist, dass gerade bei den Jugendlichen, die sich einsam erleben der Gedanke an Suizid doppelt so häufig auftritt.


Gedanken zur Abhängigkeit: Du schaffst es nur alleine und alleine schaffst Du es nicht

Dieser Spruch ist in vielen Selbsthilfegruppen vertreten, denn er macht deutlich, dass es einerseits auf einen selbst ankommt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen – andererseits aber auch soziale Unterstützung auf dem Weg benötigt wird. Ohne den eigenen Wunsch auf Veränderung und den Willen dies auch umzusetzen, ist kein Neuanfang möglich. Ich habe in meiner jahrzehntelangen Arbeit mit Suchtkranken niemanden erlebt, der den Weg zur Abstinenz geschafft hat, ohne dass ihm wenigstens ein Mensch zur Seite stand. Vielleicht finden in der Tat vereinsamte Menschen nur schwer einen Weg in die Suchthilfe.

„Doch so kann das Herz viel Leid überwinden, wenn sich zur Qual und Not Genossen finden“ (Edgar in König Lear)

Die hilfreiche Person kann ein Arbeitskollege sein, ein selbst Betroffener, der Chef, der Partner, der Hausarzt etc. Oft sind es mehrere Personen. Dazu muss man diese Menschen an sich heranlassen, nachdem man jahrelang das Thema der Suchtgefährdung in Gesprächen stets vermieden hat. Zu den schlimmsten Folgen der Sucht gehören die Beeinträchtigungen von Beziehungen, sei es zu Freunden, Bekannten aber auch zu Partnern oder Partnerinnen und sicherlich auch zu Kindern. Die Sucht führt zu Entfremdung, Verlust von Vertrauen, Verschiebung von Verantwortung und eventuell auch zu Streit und Gewalt. Gerade der Aufbau der Beziehung zu den Kindern braucht Zeit. Das beeinträchtigte Vertrauen baut sich nur langsam wieder auf und selbst kleinste Vorfälle können erneut Ängste aktivieren. Ich betone dies deswegen, weil die Beziehung zu den Kindern eine besonders sensible Bindung ist, die Schmerzen bereiten kann, wenn sie beeinträchtigt ist. Das Leid der Kinder wird auch heute noch nicht so gravierend gesehen, wie es ist. Die Partnerbeziehung kann an der Abhängigkeitserkrankung scheitern, was das Durchleben eines Trauerprozesses beinhalten kann. Zusammenbleiben heißt aber auch die Beziehung nach der Sucht neu zu definieren und z. B. Verantwortungen neu zu verteilen. Neben einer intimen Beziehung sind andere Beziehungen zu engen und guten Freunden wichtig und gut, wenn man sie hat. Vielleicht ist die Beziehung zu früheren Freunden durch ein Zugehen auf den anderen und durch offene Gespräche erneut aktivierbar. Neue Freunde zu gewinnen ist in der Selbsthilfegruppe möglich, aber auch durch ein offenes Zugehen auf andere Menschen im Alltag. Das gilt auch für Menschen, die eigentlich introvertiert sind. Es gibt keine Alternative dazu. Tipps dazu finden sich in der Rubrik „Glückskeks“. Wichtig bleibt jedoch als Basis eine gute Selbstsorge und ein ausgeprägtes Mitgefühl mit dem Menschen, der mir am nächsten ist: Ich selbst!


Glückskeks: Beziehungen aufbauen - worauf achten damit das glückt
  1. Fehlende Kontakte sind etwas, was man sich zunächst einmal eingestehen muss, um etwas dagegen tun zu können. Es muss ein Plan her. Vielleicht ist dabei hilfreich sich jemand anzuvertrauen und gemeinsam diese Strategien zu entwickeln. Zu zweit kommt man meistens auf bessere Ideen, als alleine. Der Vorteil eines guten Soziallebens ist, dass im Allgemeinen mehr Freude ins Leben kommt, durch die Kontakte die persönliche Entwicklung gefördert wird und sich Stress reduziert.
  2. Grundsätzlich gilt, dass wir los gehen müssen, wir aktiv werden müssen. Egal ob es sich um anrufen, chatten, einen Kurs besuchen, in der Gruppe Sport oder Yoga machen, einen Verein suchen oder einen Cafe-Besuch handelt. Damit ist vielleicht noch nicht der große Wurf gelungen, aber ich verlasse die Wohnung und sehe andere Leute. Tatsache ist, dass Kontaktpersonen sehr selten an meine Tür klopfen werden, um mich abzuholen. Eigenes Misstrauen gilt es zu erkennen und gedanklich realistisch um zu strukturieren und zu wissen, eigentlich kann ich nichts verlieren. Bei Bedarf ist der Besuch einer Lebensberatungsstelle zu empfehlen, da Einsamkeit ein gravierendes Problem ist.
  3. Vielleicht erfordert das Überwindung, aber es lässt sich nicht vermeiden Dinge alleine zu unternehmen also z. B. auch alleine essen zu gehen, um zu üben, dass der erste Schritt aus der Einsamkeit einer ist, bei dem ich zunächst ganz alleine zu einer bestimmten Veranstaltung gehe. Mut gehört also dazu. Marc Twain sagte übrigens dazu: „Sei artig und Du wirst einsam sein.“ Mut wird gebraucht und verlieren kann man nur seine Einsamkeit.
  4. Es kann einfacher sein, zunächst neue Bekannte oder auch Freunde zu finden, als eine enge Partnerschaft, da das emotional nicht so aufgeladen ist und eine größere Anzahl von Menschen in Frage kommen. Jemanden zu haben, mit dem man was unternimmt oder etwa gut reden kann, ist viel wert. Wie bei der Partnersuche gibt es inzwischen auch Seiten im Internet oder auch in Zeitungsanzeigen, um Menschen zu finden, mit denen es nicht primär um eine intime Beziehung geht.
  5. Anderen zu helfen ist ein guter Weg um indirekt auch soziale Kontakte zu knüpfen. Dabei wird man aktiv und fühlt sich nicht als Opfer sondern als Gebender. Gemeint ist z. B. bei der Tafel tätig zu sein, oder im Altenheim vorzulesen. Zusätzlicher Effekt ist, dass ich nicht nur unter Leuten bin, sondern auch andere Menschen kennen lerne, die in diesem Bereich ebenfalls engagiert sind.
  6. Wie sieht das eigene Volumen an Bekannten eigentlich aus? Schreiben Sie das bitte auf. Auch die Menschen, die Sie -warum auch immer -lange nicht gesehen haben. Wen möchten Sie mal wieder treffen. Rufen Sie dort an.
  7. Grundregel sollte sein, freundlich zu sein. Der sogenannte „Small Talk“ hat seinen Sinn und ist ein soziales Schmiermittel, denn man kann nicht nur ständig über den Sinn des Lebens reden. Auch der Gang zum Supermarkt o. ä. ist eine Übungssituation mit der Kassiererin ein paar Worte zu wechseln und in den sozialen Fluss zu kommen.
  8. Sich neuen Kontakten auszusetzten und etwa bei einer Feier zu sein, bei der man kaum jemand kennt ist eine schweißtreibende Angelegenheit, die nicht immer perfekt funktioniert, aber es macht trotzdem Sinn sich solchen Situationen auszusetzen und sie als Lernmöglichkeit zu sehen. Dabei bedeutet Reden über sich selbst, dass die Wahrscheinlichkeit steigt, dass der andere das auch tut. Wenn sich die Gelegenheit bietet, anderen etwas Nettes oder ein Kompliment zu sagen, sollte das genützt werden. Der Paartherapeut John Gottmann stellte fest, dass Paare, die sich 5 Mal so viele positive Dinge sagten, wie negative zu 94 % fünf Jahre später noch zusammen waren.
  9. Bei der Suche nach neuen Freunden darf nicht zu kurz kommen, selbst sein bester Freund zu sein und sich das Leben so schön wie möglich zu machen. Dies betrifft den gesamten Alltag, wie die Gestaltung der Wohnung, was ich mir koche, wie ich mich kleide, was ich für meinen Körper tue etc. Wer auch alleine zurecht kommt, ist gut in der Lage mit anderen zurecht zu kommen. Eine neue Bindung heißt ja nicht, seine Selbstverantwortung und Eigenständigkeit aufzugeben.
  10. Bei Freunden kommt es weniger auf die Anzahl an, sondern auf die Qualität der Beziehung. Gleiches gilt auch für den Bekanntenkreis in abgeschwächter Form. Aber auf Dauer wird man eher Personen bevorzugen, mit denen man in gewisser Weise emotional verbunden ist und mit deren Zielen man sich grundsätzlich identifizieren kann. Das Mitgefühl mit anderen besteht in einem Öffnen für das Leid und die Probleme anderer, jedoch auf einer gleichberechtigten Ebene. Mitgefühl heißt nicht, sich total mit dem anderen zu identifizieren und ist nicht das Gleiche wie Mitleid, in dem ich mich verlieren kann.
  11. Neben dem Finden von Freunden ist auch das Halten wichtig. So solle man enge Freunde etwa ein Mal pro Woche treffen und gute Freunde ein Mal im Monat. Das Bedürfnis nach Kontakt ist unterschiedlich. Grob gilt, dass es gut passt, wenn man 3 bis 5 enge Freunde hat und etwa 15 gute Bekannte.

Viel Erfolg beim Finden und Halten von Freunden und Bekannten.


Infobox: Hilfen bei Einsamkeit

In England wurde das Problem Einsamkeit schon 2018 so deutlich erkannt, dass ein Ministerium für Einsamkeit begründet wurde. Seit dieser Zeit finden Aktivitäten zur Bewusstmachung der gesundheitlichen Bedrohung durch Einsamkeit statt. Hierbei wurden auch Hausärzte einbezogen, die etwa Aktivitäten in bestimmten gemeindenahen Einrichtungen an ihre Patienten verschreiben. Es gilt der Stigmatisierung und Selbstabwertung bei Einsamkeit entgegen zu wirken etwa durch Achtsamkeitswochen zu diesem Thema. Die Forschung zu diesem lange unbeachteten Problem wird vom Ministerium gefördert und praktische Hilfen zur Überwindung von Einsamkeit vermittelt. Bei politischen Entscheidungen soll das umfassende Problem Einsamkeit berücksichtigt werden.

Auch in Deutschland gibt es seit kurzem ein Kompetenznetz Einsamkeit (https://kompetenznetz-einsamkeit.de/), welches vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendlichen, sowie vom Europäischen Sozialfond, gefördert wird. Ziel ist für das umfassende Problem zu sensibilisieren, Strategien gegen Einsamkeit und zur Vorbeugung zu entwickeln und Forschung voran zu treiben.

Let´s get together!

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